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Fensterläden und sagte dem Au-pair-Mädchen,
dem er auf dem Gangbegegnete, er habe das Gefühl,
Fieber zu haben. Imposant, lächelnd und beruhi-
gend erschien Evelina, man brachte ihm Tee,
machte sein Bett und rief den Doktor.
Danach kam ihm alles einfacher und ein bißchen
besser als in der Nacht mit den Lichtblitzen, dem
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Lied »Contessa« und dem Klirren vor. Er hatte
Fieber, der Arzt sagte, er nehme an, daß er eine
Virusinfektion habe, wisse aber noch nicht genau,
um was es sich handele. Carmine lag müde und
ruhig da, man brachte ihm Mineralwasser und die
Zeitungen, das Au-pair-Mädchen kam, um sich
bei ihm zu verabschieden, weil es in einen Italie-
nischkurs ging, dann kam die Portiersfrau, und
Evelina fuhr, wie jeden Morgen, mit Dodò nach
Fregene.
Er rief Ivana an, erreichte aber niemanden, und rief
daraufhin Isa Meli an, die ihm sagte, Ivana und
Angelica seien mit Matteo Tramonti und dessen
Freund Giuliano Grimaglia aufs Land nach Farfa
gefahren, um dort einige Tage in einem Haus der
dicken Rechtsanwältin zu verbringen, das kein
Telefon hatte und hoch oben auf einem Hügel
thronte. Sie hätten das am Abend zuvor, kurz
nachdem er fortgegangen war, beschlossen. Er
fühlte sich sehr einsam. Er sagte zu Isa Meli, er sei
krank, und sie erinnerte sich ausführlich an ihren
eigenen Infarkt in Sardinien, als sie geglaubt hatte,
sterben zu müssen, und erbot sich, ihm Gesell-
schaft zu leisten, aber er bedankte sich und sagte,
das sei nicht nötig. Sie sprachen kurz über Ivana,
Signora Tattoli und den Mietvertrag und dann
noch einmal über das Haus von Matteo Tramontis
Mutter in Farfa mit seinem herrlichen Blick über
das ganze Tal.
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Da er am Abend hohes Fieber hatte, quartierten sie
ihn in das eheliche Schlafzimmer um, das man
wieder in Ordnung gebracht hatte und das bis auf
einen leichten Geruch nach frischer Farbe wie
immer war. Einige Tage blieb er allein, und hin und
wieder erschien Evelina, das Au-pair-Mädchen
oder die Portiersfrau, dann traf Ninetta ein, und
das Zimmer füllte sich mit Ninettas Koffern und
ihren Kleidern. »War es schön in Venedig?« fragte
er mit einer Stimme, die wegen des Fiebers und
weil er so lange geschwiegen hatte, leicht belegt
klang. Ninetta machte mit dem Kinn eine zustim-
mende Bewegung und fuhr fort, ihre Kleider auf
Bügel zu hängen und das zusammengeknüllte
Seidenpapier aus den Schuhen zu ziehen. Sie war
nervös und schien vollkommen unvorbereitet auf
die Begegnung mit einer Krankheit zu sein. Sie trug
das Telefon ins Wohnzimmer und verließ dauernd
das Schlafzimmer, um zu telefonieren. Der Arzt
sagte auch zu Ninetta, er verstehe nicht genau, um
was es sich handele, es seien einige Untersuchun-
gen nötig, es scheine aber nichts Schlimmes zu
sein, bis auf das Fieber gebe es keine besonderen
Symptome, er klage nicht über Schmerzen, nur
über einen Reif um den Kopf und das Gefühl der
Beengung beim Atmen. Plötzlich erschrak
Ninetta ein bißchen, in ihren Augen zeichnete sich
Verwirrung ab. Weitere Tage vergingen, und es
war alles so wie damals, als er Lungenentzündung
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gehabt hatte, Ninettas roter Schal über der Lampe,
das weiße Tuch auf der Kommode, wo Medizinen
und Spritzen lagen, Ninetta, die sich mit ihrer
schmalen, zerbrechlichen Gestalt im Zimmer zu
schaffen machte, Evelina, die mit einem Taschen-
tüchlein in der Hand aufrecht neben dem Bett saß.
Nur daß jetzt alles eine andere Wendung zu
nehmen schien. Der Arzt sagte, es empfehle sich,
Carmine in eine Klinik zu bringen. Ninetta und
Evelina brachten ihn mit dem Minimorris dorthin.
Am Fenster der Klinik gab es gelbe Vorhänge mit
schwarzen Rhomben, und wenige Augenblicke,
nachdem er sich ins Bett gelegt hatte, wurde ihm
klar, daß diese schwarzen Rhomben das einzige
blieben, an dem sich seine Augen erlaben und an
dem sie entlangwandern konnten. Er machte sich
klar, daß er seit einer Woche krank war, denn es
war Sonntag, und nur eine Woche trennte ihn von
dem Tag, an dem er mit Ivana, Angelica und den
Jungen ins Kino gegangen war, wo sie den Film
»Abgrund« mit den Milliardären und den Raubfi-
schen gesehen hatten und, nachdem sie aus dem
Kino gekommen waren, sich in jenes Straßencafe
gesetzt hatten, und dann hatte es noch das Abend-
essen gegeben, die Signora Tattoli und das Lied
»Contessa«.
Dann kamen Ivana und Matteo Tramonti. Sie
waren gerade aus Farfa zurückgekehrt, wo sie
gekocht, Pilze gesammelt, Sonnenbäder genom-
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men und zusammen mit Giuliano Grimaglia ein
Filmexpose geschrieben hatten. Sie erzählten ihm
dessen Handlung, die Carmine langwierig und
langweilig fand, ohne Ordnung und überfrachtet,
und deshalb nach kurzem aufhörte zuzuhören.
Ivana hatte ihr übliches blaues T-Shirt an, das
schon zu oft gewaschen und darum verblichen
war. Ihr Haar hatte sie nicht oben auf dem Kopf
zusammengezwirbelt, es hing vielmehr in einem
kleinen, zerzausten und kurzen Pferdeschwanz
herab, und während sie sprach, spielte sie mit
diesem Haar. Matteo Tramonti erklärte, mit die-
sem Expose würden sie viel Geld verdienen.
»Findest du nicht, daß es ein tolles Expose ist?«
Carmine lächelte zerstreut. Unversehens ent-
deckte er, daß Ivana aufgehört hatte zu sprechen
und ihn mit verängstigten Augen ansah, während
Matteo Tramonti sich weiter über diese Ge-
schichte von Drogen, Diamanten, Flugplätzen
und Blut erging. Als Carmine Ivana mit ihren
verängstigten Augen sah, empfand er den Wunsch,
sie aufzuheitern, und begann seinerseits mit Mat-
teo Tramonti über die Verwicklungen des Exposes
zu reden.
Am nächsten Tag kam Ivana allein. Sie blieb den
ganzen Nachmittag bei ihm, und sie waren allein,
denn Ivana hatte zu Ninetta gesagt, sie solle ruhig
fortgehen und sich zu Hause ausruhen. Sie fragte
Carmine, ob er sich an den Nachmittag, an dem
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sie ins Kino gegangen waren, um den Film
»Abgrund« zu sehen, schon schlecht gefühlt und
warum er ihr nichts davon gesagt habe. Er antwor-
tete, damals habe er sich nicht besonders schlecht
gefühlt, er hatte nur ein bißchen Kopfweh und war
müde, das habe er zu Angelica gesagt, die wütend
gewesen sei, weil er ihr nicht beim Tischdecken
geholfen hatte. Sie hätten sich an jenem Sonntag im
Cafe doch so geruhsam unterhalten. Er sagte, jetzt
komme ihm jener Sonntag als ein besonders glück-
licher Tag vor, und doch habe er das damals nicht
bemerkt, denn es sei ja auch nichts besonders
Schönes daran, ins Kino zu gehen und einen
scheußlichen Film anzuschauen, und ebenso
wenig daran, sich in ein Straßencafe zu setzen, Eis
zu bestellen und darauf zu warten, daß es Abend
werde. Jetzt empfinde er eine verzehrende Sehn-
sucht nach diesem Tag. Und doch hatten sie damals
ein bißchen gelangweilt in diesem Cafe gesessen
und gedacht, Tage wie diese hätten sie schon
tausendfach erlebt, und das hatten sie auch, denn es
gebe ja nichts Dümmeres und Einfacheres, als sich
für ein paar Stunden an den Tisch in einem Cafe zu
setzen. Dann schwiegen sie ein Weilchen, sie
spielte mit ihrem Haar, das wieder in einem
zerzausten Pferdeschwanz herunterhing. Plötz-
lich fragte er: »Erinnerst du dich an das Kind?« Er
wollte wissen, ob sie manchmal auf den Friedhof
gehe. Sie antwortete: »Nein. Friedhöfe hasse ich.«
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Und er lachte und sagte: »Auch ich hasse sie.« Sie
meinte, sie sehe keinen Zusammenhang zwischen
dem Friedhof und dem kleinen Mädchen und auch
keinen zwischen dem Friedhof und Amos Elia und
sie habe das Gefühl, die Toten hielten sich von den
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